4.5.3 Beispiele aus dem Leben

Das Kapitel zu Optimierungen soll mit einem komplizierten Beispiel beendet werden, in dem verschiedene Optimierungen vorgenommen werden müssen, bis das Ergebnis gut ausssieht. Das Beispiel wurde ganz bewusst gewählt um die Benutzung der Notationsreferenz zu zeigen, wenn ungewöhnliche Notationsprobleme gelöst werden müssen. Es ist nicht repräsentativ für normale Notationsprojekte, lassen Sie sich also nicht durch dieses Beispiel entmutigen! Zum Glück sind Probleme wie die hier gezeigten nicht sehr häufig.

Das Beispiel stammt aus Chopins Premiére Ballade, Op. 23, Takte 6–9, der Übergang vom Lento der Einleitung zum Moderato. Hier zunächst der Satz, wie er aussehen soll, allerdings ohne Dynamik, Fingersatz und Pedalbezeichnung, um das Beispiel nicht zu kompliziert zu machen.

[image of music]

Die erste Überlegung ist, dass das System für die rechte Hand im dritten Takt vier Stimmen braucht. Das sind die fünf Achtelnoten mit Balken, das übergebundene C, die Halbe D, die mit der Achtel D verschmolzen ist, und die punktierte Viertel Fis, die auch mit einer Achtelnote verschmolzen ist. Alles andere ist eine einzige Stimme, es ist also am einfachsten, die Stimmen nur zeitweise zu erstellen, wenn sie auftreten. Wenn Sie vergessen haben, wie man das anstellt, schauen Sie sich nochmal den Abschnitt Ich höre Stimmen an. Wir wollen anfange, indem wir die Noten in zwei Variablen notieren und dann die Systemstruktur in einer \score-Umgebung erstellen. Das ist, was LilyPond erstellt:

rhNoten = \relative c'' {
  r2 c4. g8 |
  bes1~ |
  \time 6/4
  bes2. r8
  % Beginn des polyphonen Abschnitts mit vier Stimmen
  <<
    {c,8 d fis bes a | }
  \\
    {c,8~ c2 | }
  \\
    {s8 d2 | }
  \\
    {s4 fis4. | }
  >>
  g2.
}

lhNoten = \relative c' {
  r2 <c g ees>2 |
  <d g, d>1 |
  r2. d,,4 r4 r |
  r4
}

\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "RH"  <<
      \key g \minor
      \rhNoten
    >>
    \new Staff = "LH" <<
      \key g \minor
      \clef "bass"
      \lhNoten
    >>
  >>
}

[image of music]

Alle Noten sind richtig, aber die Positionierung sehr verbesserungsbedürftig. Der Bindebogen stößt mit der veränderten Taktart zusammen, die Balkung im dritten Takt ist falsch, die Noten werden nicht verschmolzen und einige Notationselemente fehlen ganz. Behandeln wir zunächst die einfacheren Dinge. Der Balken kann durch eine manuelle Begrenzung einfach korrigiert werden, und auch der Legatobogen der linken Hand und der Phrasierungsbogen der rechten Hand sind schnell gesetzt, denn sie wurden schon in der Übung erklärt. Damit haben wir folgendes Notenbild:

rhNoten = \relative c'' {
  r2 c4.\( g8 |
  bes1~ |
  \time 6/4
  bes2. r8
  % Beginn des polyphonen Abschnitts mit vier Stimmen
  <<
    {c,8[ d fis bes a] | }
  \\
    {c,8~ c2 | }
  \\
    {s8 d2 | }
  \\
    {s4 fis4. | }
  >>
  g2.\)
}

lhNoten = \relative c' {
  r2 <c g ees>2( |
  <d g, d>1) |
  r2. d,,4 r4 r |
  r4
}

\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "RH"  <<
      \key g \minor
      \rhNoten
    >>
    \new Staff = "LH" <<
      \key g \minor
      \clef "bass"
      \lhNoten
    >>
  >>
}

[image of music]

Der erste Takt stimmt jetzt schon. Der zweite Takt enthält ein Arpeggio und wird mit einer doppelten Taktlinie beschlossen. Wie können wir diese notieren, denn sie sind im Handbuch zum Lernen nicht vorgekommen? Hier brauchen wir jetzt die Notationsreferenz. Ein Blick in den Index zeigt uns die Einträge für „Arpeggio“ und „Taktlinien“: ein Arpeggio also erstellt man mit dem Befehl \arpeggio hinter einem Akkord und eine doppelte Taktlinie wird mit dem Befehl \bar "||" erstellt. Das ist einfach. Als nächstes muss der Zusammenstoß des Bindebogens mit der Taktartbezeichnung gelöst werden. Das geht am besten, indem wir den Bogen nach oben verschieben. Wie man Objekte verschiebt wurde schon behandelt in Verschieben von Objekten, wo stand, dass Objekte die relativ zum System positioniert werden, verschoben werden können, indem ihre staff-position-Eigenschaft geändert wird, die in halben Notenlienienabständen relativ zur Mittellinie angegeben wird. Dieser \override-Befehl also, direkt vor die erste übergebundene Note gestellt, verschiebt den Bindebogen (tie) 3,5 halbe Notenlinienabstände über die Mittellinie:

\once \override Tie #'staff-position = #3.5

Damit ist auch der zweite Takt vollständig:

rhNoten = \relative c'' {
  r2 c4.\( g8 |
  \once \override Tie #'staff-position = #3.5
  bes1~ |
  \bar "||"
  \time 6/4
  bes2. r8
  % Beginn des polyphonen Abschnitts mit vier Stimmen
  <<
    {c,8[ d fis bes a] | }
  \\
    {c,8~ c2 | }
  \\
    {s8 d2 | }
  \\
    {s4 fis4. | }
  >>
  g2.\)
}

lhNoten = \relative c' {
  r2 <c g ees>2( |
  <d g, d>1)\arpeggio |
  r2. d,,4 r4 r |
  r4
}

\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "RH"  <<
      \key g \minor
      \rhNoten
    >>
    \new Staff = "LH" <<
      \key g \minor
      \clef "bass"
      \lhNoten
    >>
  >>
}

[image of music]

In Takt drei beginnt der Moderato-Abschnitt. In der Übung wurde behandelt, wie man fetten Text mit dem \markup-Befehl eingibt, es ist also einfach, das „Moderato“ hinzuzufügen. Wie aber werden Noten verschmolzen? Hier nehmen wir wieder die Notationsreferenz zu Hilfe. Die Suche nach „Verschmelzen“ (engl. merge) im Index führt uns zu den Befehlen um Noten mit unterschiedlichen Köpfen und unterschiedlichen Punkten zu verschmelzen in Auflösung von Zusammenstößen. In unserem Beispiel müssen sowohl unterschiedliche Köpfe also auch unterschiedliche Punktierung verschmolzen werden, wir brauchen also die Befehle

\mergeDifferentlyHeadedOn
\mergeDifferentlyDottedOn

aus der Notationsreferenz, die wir an den Beginn unseres Abschnittes stellen und

\mergeDifferentlyHeadedOff
\mergeDifferentlyDottedOff

um das Verhalten wieder auszuschalten. Das sieht so aus:

rhNoten = \relative c'' {
  r2 c4.\( g8 |
  \once \override Tie #'staff-position = #3.5
  bes1~ |
  \bar "||"
  \time 6/4
  bes2.^\markup {\bold "Moderato"} r8
  \mergeDifferentlyHeadedOn
  \mergeDifferentlyDottedOn
  % Beginn des polyphonen Abschnitts mit vier Stimmen
  <<
    {c,8[ d fis bes a] | }
  \\
    {c,8~ c2 | }
  \\
    {s8 d2 | }
  \\
    {s4 fis4. | }
  >>
  \mergeDifferentlyHeadedOff
  \mergeDifferentlyDottedOff
  g2.\)
}

lhNoten = \relative c' {
  r2 <c g ees>2( |
  <d g, d>1)\arpeggio |
  r2. d,,4 r4 r |
  r4
}

\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "RH"  <<
      \key g \minor
      \rhNoten
    >>
    \new Staff = "LH" <<
      \key g \minor
      \clef "bass"
      \lhNoten
    >>
  >>
}

[image of music]

Mit diesen Veränderungen wurden die beiden Fis-Noten verschmolzen, aber nicht die zwei Ds. Warum nicht? Die Antwort befindet sich im gleicher Abschnitt der Notationsreferenz: Noten, die verschmolzen werden, müssen Hälse in entgegengesetzte Richtungen aufweisen und zwei Noten können nicht verschmolzen werden, wenn eine dritte Noten in der gleichen Kolumne stört. In unserem Fall weisen beide Hälse nach oben und es befindet sich zur gleichen Zeit auch noch eine dritte Note, das C. Wie die Richtung von Hälsen geändert wird, wissen wir schon: mit \stemDown, und in der Notationsreferenz findet sich auch Information, wie das C verschoben werden kann: mit dem \shift-Befehl. Aber welcher von ihnen? Das C befindet sich in der zweiten Stimme, die „shift off“ hat, die zwei Ds sind in den Stimmen eins und drei, die „shift off“ bzw. „shift on“ haben. Das C muss also noch eine Stufe weiter verschoben werden mit \shiftOnn, damit es die Verschmelzung der Ds nicht stört. Das sieht jetzt so aus:

rhNoten = \relative c'' {
  r2 c4.\( g8 |
  \once \override Tie #'staff-position = #3.5
  bes1~ |
  \bar "||"
  \time 6/4
  bes2.^\markup {\bold "Moderato"} r8
  \mergeDifferentlyHeadedOn
  \mergeDifferentlyDottedOn
  % Beginn des polyphonen Abschnitts mit vier Stimmen
  <<
    {c,8[ d fis bes a] | }
  \\
    % Verschiebe das c2 aus der Hauptnotenkolumne, damit Verschmelzung funktioniert
    {c,8~ \shiftOnn c2 | }
  \\
    % Hals vom d2 muss nach unten, damit Verschmelzung gelingt
    {s8 \stemDown d2 | }
  \\
    {s4 fis4. | }
  >>
  \mergeDifferentlyHeadedOff
  \mergeDifferentlyDottedOff
  g2.\)
}

lhNoten = \relative c' {
  r2 <c g ees>2( |
  <d g, d>1)\arpeggio |
  r2. d,,4 r4 r |
  r4
}

\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "RH"  <<
      \key g \minor
      \rhNoten
    >>
    \new Staff = "LH" <<
      \key g \minor
      \clef "bass"
      \lhNoten
    >>
  >>
}

[image of music]

Fast schon geschafft. Nur noch ein Problem ist übrig: Der Hals nach unten des verschmolzenen sollte nicht da sein, und das C sähe besser auf der rechten Seite des Ds aus. Beides können wir mit den gelernten Optimierungsmethoden erreichen. Den Hals machen wir durchsichtig und das C verschieben wir mit der force-hshift-Eigenschaft. Hier ist das Endergebnis:

rhNoten = \relative c'' {
  r2
  c4.\( g8 |
  \once \override Tie #'staff-position = #3.5
  bes1~ |
  \bar "||"
  \time 6/4
  bes2.^\markup {\bold "Moderato"} r8
  \mergeDifferentlyHeadedOn
  \mergeDifferentlyDottedOn
  <<
    {c,8[ d fis bes a] | }
  \\
    % c2 neu positionieren rechts von der verschmolzenen Note
    {c,8~ \once \override NoteColumn #'force-hshift = #1.0
    % Verschiebe das c2 aus der Hauptnotenkolumne, damit Verschmelzung funktioniert
    \shiftOnn c2}
  \\
    % Hals vom d2 muss nach unten, damit Verschmelzung gelingt
    {s8 \stemDown \once \override Stem #'transparent = ##t d2}
  \\
    {s4 fis4.}
  >>
  \mergeDifferentlyHeadedOff
  \mergeDifferentlyDottedOff
  g2.\)
}

lhNoten = \relative c' {
  r2 <c g ees>2( |
  <d g, d>1)\arpeggio |
  r2. d,,4 r4 r |
  r4
}

\score {
  \new PianoStaff <<
    \new Staff = "RH"  <<
      \key g \minor
      \rhNoten
    >>
    \new Staff = "LH" <<
      \key g \minor
      \clef "bass"
      \lhNoten
    >>
  >>
}

[image of music]


Andere Sprachen: English, français, español.

Handbuch zum Lernen